Hallo Selbstzweifel

Selbstzweifel.
Ein ungebetener Gast, der meistens unangemeldet vorbeischaut und sich einfach auf’s Sofa setzt, obwohl man doch eigentlich gerade ins Bett gehen wollte.

Gut, in meinem Fall wollte der Selbstzweifel lieber Party machen, aber das ist mindestens genauso ätzend, wenn man eigentlich müde ist und pennen will.
Wir alle kennen das:

Wenn man bis Oberkante Unterlippe in einem Projekt steckt, das Kreativität erfordert, dann durchläuft man immer wieder die folgenden sechs Phasen*:
creative-process

Ich zurre das Beispiel einfach mal daran fest, wie sich das mit dem Schreiben während dieser Phasen für mich so anfühlt.
Und ja: Man durchläuft diese Phasen in Dauerschleife und ja, das ist verdammt anstrengend.
Aber man kann dem Kopf schwer beibringen die Klappe zu halten.
Viel Spaß beim Herumlesen in meinen Eingeweiden ;)

Phase 1: This is awesome

Ganz besonders am Anfang bin ich supermegahyper-begeistert von einer Idee. Wie vermutlich jeder, der gerade das Gefühl hat, dass etwas magisches passiert.
This is awesome!

Ich hänge mich jetzt voll rein und dann kann das einfach nur super werden! Schiefgehen? Quatsch! Hier kann gar nichts schiefgehen. Hörst du, Welt? Du kannst mir gar nichts, denn meine Idee ist fucking awesome.

Ich setze mich hin, mache mir Notizen zu Outlines, zu Szenen und Dialogen, die ich bereits im Kopf habe, schiebe die Puzzleteile meiner Story so lange hin und her, bis ich das Gefühl habe, dass sie perfekt zusammenpassen. Ich baue Charakter-Sheets, surfe Pinterest leer, um Inspirationen für Orte und Figuren zu finden und das, was ich am Ende speichere macht mich glücklich. Es ist, als gäbe es die Plätze und Figuren, die sich in meinem Kopf zu einer Geschichte zusammenfinden, irgendwo auch in der Realität. Oder zumindest annähernd.
This. Is. Awesome.

Phase 2: This is tricky

Sobald die erste Euphorie verflogen ist, sitze ich vor meinen Notizen und bemerke hier und da logische Fehler, verwerfe einige Ideen nun doch wieder, schreibe ganze Teile um.
Ich raufe mir die Haare, weil bestimmte Fäden doch nicht zusammenlaufen, sondern sich lieber als verwuscheltes Wollknäuel präsentieren.
This is tricky.

Aber ich bin zuversichtlich, dass ich einen Weg finde, um all diese Ideen in meinem Kopf zu ordnen und sie zu einer Geschichte zu machen, die einen Sinn ergibt. Immerhin bin ich noch ziemlich nah an Phase 1, also ist es zwar tricky, aber immer noch fucking awesome.

Phase 3: This is crap

Gegen Ende von Phase 2 fallen mir immer mehr Aspekte auf, die womöglich doch nicht so toll funktionieren, wie ich mir das dachte. Was habe ich mir überhaupt dabei gedacht?
Die Figuren sind viel zu perfekt. Können die nicht irgendwie mehr Fehler machen? Und wie sehen die überhaupt aus! In meiner Vorstellung sind die alle fucking Supermodels! Wenigstens ein paar von denen sollten viel normaler aussehen. Aber wie? Vielleicht eine zu große Nase? Oder schiefe Zähne? Das ist doch alles Blödsinn. Stellen sich die Leser die Figuren überhaupt makellos vor? Oder sind sie es nur in meinem Kopf? Und wie bescheuert reagiert Ellie eigentlich in diesem Dialog schon wieder?
Das ist doch alles scheiße.

Also fange ich an, mir erneute Notizen zu machen. Vorherige Notizen mit Textmarkern anzumalen, umzustrukturieren, Post-Its auf meine alten Notizen zu kleben, so ziemlich ALLE Entscheidungen meiner Helden in Frage zu stellen und Gedankenspiele zu verfolgen, was wäre wenn… Und ich komme zu keinem vernünftigen Ergebnis. Vielleicht war’s vorher doch besser. Ich lass es erstmal so stehen, ist ja erst die 1.0 Version. Ich werde alles überarbeiten müssen. Alles. Der Editierdurchgang wird die Hölle.
Crap. This is crap.

Phase 4: I am crap

Die vermeintliche Überzeugung, dass die Story „crap“ ist, ist eng verwandt mit der einzig logischen Schlussfolgerung, dass es wohl daran liegen muss, dass der Autor „crappy“ ist.
This is crap, I am the author, I am crap – ihr versteht schon.

Ich sitze gefühlte Ewigkeiten vor meinem Manuskript und beherrsche mich, nicht alles sofort editieren zu wollen. Redet Jo‘ wirklich so, wie ich es gerade in einem Dialog zu Papier gewürgt habe? Das würde sie doch niemals sagen! Aber was würde sie stattdessen sagen? Oder tun? Heulen? Wohl kaum. Schreien? Vielleicht. Ich habe keine Ahnung. Oh mein Gott. Ich habe die Stimme einer meiner Figuren verloren! Wie soll ich das bloß wieder hinkriegen? Ich bekomme es nie und nimmer hin, dass die arme Jo‘ wieder wie sie selbst klingt.
Ich bin so ein Idiot. Ich dachte, ich könnte schreiben – wie dumm von mir. Ich weiß ja nicht mal, was meine Figur sagen will.

Ich wiederhole Mantra-mäßig in meinem Kopf, dass es „nur“ die erste Version ist und dass ich immer noch alles umschreiben kann, wenn ich es am Ende immer noch scheiße finde. Und eigentlich finde ich ja auch nicht alles scheiße, oder? Na ja. Aber sehen das die Leser auch so? Den Gedanken will ich eigentlich verscheuchen, denn ich schreibe ja nicht, damit es anderen gefällt. Also. Natürlich schreibe ich in der Hoffnung, dass es anderen gefällt, aber ich kann nicht schreiben, nur damit es anderen gefällt.
Versteht ihr? Nein? Ist auch ein bisschen konfus.

Ich fange an durch’s Internet zu surfen, YouTube Videos anzuschauen, Pinterest nach neuer Inspiration abzugrasen und bleibe immer wieder auf Twitter hängen. Oder ich schaue Serien, weil es sowieso nichts bringt, wenn ich jetzt weiterschreibe.
Ich habe sowieso keine Ideen, ich kann nie wieder schreiben, meine Kreativität ist aufgebraucht und es wird nie nie nie wieder auch nur ein vernünftiger Satz aus meinem Kopf herauskommen, den irgendjemand lesen will.

Ich glotze auf meine Motivationssprüche, wie „You can’t use up creativity. The more you use, the more you have.“
Danke, Mr. Wilde. Aber zwischen 1854 und 1900 gab es weder Internet noch Serien, die Ihnen die tolle Möglichkeit geboten haben zu prokrastinieren, wenn es mal nicht so lief. Okay, vielleicht gab es andere Dinge, aber egal. Ich bin gerade in meiner bockigen Phase und da kann mir auch Oscar Wilde nicht helfen. Niemand kann das. Und niemand will den Kram lesen, den ich schreibe – also ist es sowieso egal.

Ich denke mir: „In der Zeit, in der du jetzt sinnlos vor dem TV rumgegammelt hast, hättest du auch ein paar Seiten schreiben können. Selbst wenn sie nicht gut gewesen wären – wenigstens hättest du geschrieben und würdest dich jetzt nicht so beschissen fühlen, weil du nicht geschrieben hast.“
Crap. I am crap.

Phase 5: This might be okay

Phasen können total super oder mega nervig sein, manchmal auch beides, aber eines ist sicher: Phasen sind nur Phasen.
Sie ziehen vorüber wie ein Sommergewitter und irgendwann scheint wieder die Sonne. Zugegebenermaßen können sich Phase 3 und 4 wie ein Sommergewitter in Super-Slow Motion anfühlen, aber hey, so lange der slomo-Button nicht festklemmt kommt auch dieser Film irgendwann zu seinem Ende.

Ist die bockige „I am crap“ Phase erst einmal überstanden, das zerfetzte Nervenkostüm mit Schokolade geflickt und die Autorenseele mit Kaffee aufgeputscht, kommt die Kreativität meist wieder zurück. Schüchtern lugt sie zuerst durch den Türspalt und traut sich noch nicht so wirklich hereinzukommen. Ist ja auch kein Wunder, denn in Phase 4 ging es ziemlich ab – man kann sich das so vorstellen, wie wenn ein Zimmermädchen das Hotelzimmer betritt, nachdem die Bloodhound Gang dort „gewohnt“ hat.
Da würde ich mich anstelle der Kreativität auch nicht trauen die Tür aufzureißen und „Hallo! Da bin ich, wann geht’s endlich weiter, bitches?“ zu schreien.

Ich sitze vor meinem Manuskript und denke mir, dass das viele Surfen im Internet vielleicht doch nicht so sinnlos war, wie ich gedacht hatte. Und das Serienschauen auch nicht, weil ich eine Idee hatte, wie ich an einer bestimmten Stelle der Story noch etwas einbauen kann, um es hoffentlich interessanter zu machen. Mir fallen beim Zähneputzen oder wahlweise beim Abwaschen endlich wieder ein paar Details ein, die einen meiner Charaktere sympathischer, mysteriöser oder nerviger machen könnten. Ich mag es, dass Ellie Artischocken liebt, wohingegen Dan die Teile nicht mal essen würde, wenn er am Verhungern wäre. Und ich glaube, ich mag meine Idee, wie ich die Artischocken nochmal aufgreifen kann. Im zweiten Teil. Oder im Dritten.

Die Kreativität hat sich auch einen Kaffee genommen und hält sich inzwischen immerhin im gleichen Raum mit mir auf. Ich finde die Stimmen meiner Figuren langsam wieder, habe das Gefühl, dass die Story klappen könnte, wenn meine Charaktere dieses oder jenes tun.
Ich schreibe einfach weiter und tröste mich damit, dass ich im Edit-Durchlauf noch die Gelegenheit habe, die Figuren runder zu machen, die Umgebung auszuschmücken und Problemchen zu lösen. Vielleicht ist doch nicht alles scheiße. Ich habe ja auch noch ein paar vorgeschriebene Szenen und Dialoge, die mir ganz gut gefallen. Die nehme ich als Eckpunkte – meine Charaktere müssen nur noch von A nach B kommen, damit ich diese Szenen miteinander verbinden kann und dann könnte das klappen.
This might be okay.

Phase 6: This is awesome

Die zaghafte „This might be okay“ Einstellung macht sich mit jedem Wort, das ich schreibe, breiter und breiter in meinem Wohnzimmer. Ich lasse meine Finger über die Tastatur fliegen und sehe meinen Figuren dabei zu, wie sie sich in Schwierigkeiten bringen, wie sie Probleme lösen, wie sie sich von A nach B bewegen.

Ich baue einige der Dialoge und Szenen ein, die ich vorgeschrieben habe und freue mich wie ein Schnitzel, dass wieder ein paar Puzzleteile zusammengefunden haben und finde es… ziemlich gut! Hach! Wenigstens hat es sich gelohnt, sich durch diese ganzen Abschnitte zu quälen, in denen scheinbar nichts kreatives aus mir herauskommen wollte und ich mein Geschriebenes zum Kotzen fand. Denn jetzt! Jetzt lese ich es nochmal und denke mir, dass es gar nicht sooo schlimm ist, wie ich dachte. Gut, hier und da brauche ich definitiv noch ein paar bessere Ideen und ein paar lustigere/schlauere/unmöglichere Sätze für meine Figuren, aber hey! Es gibt ja immer noch den Editier-Durchgang, der mich zur Version 2.0 führen wird!

Es läuft, die Story läuft, ich weiß gar nicht wohin mit meinen Ideen und muss manchmal das Zähneputzen unterbrechen, um mir etwas aufzuschreiben, das ich auf gar keinen Fall vergessen will, weil es so genial ist. Man reiche mir mein Notizbuch! Oder einen Post-It! Eine Serviette oder Klopapier! Ganz egal. Ich muss diese großartige Idee aufschreiben!
Ich schaue auf mein Manuskript, lese den letzten Absatz nochmal oder den letzten Dialog und dann spüre ich, wie mein Herz einfach überläuft vor lauter Liebe. Ich liebe die Story, ich liebe die Figuren, ich liebe das Schreiben. Und mir ist in dieser Sekunde vollkommen egal, ob jemand jemals meine Bücher lesen wird, weil ich es so sehr liebe, was ich da mache.
Also natürlich ist es mir nicht egal wie egal, ob ihr Ellies und Dans Geschichte lest, denn selbstverständlich wünsche ich mir, dass die Geschichte der beiden eure Herzen genauso erobert wie meins. Aber diese große Liebe für diese Figuren ist so romantischverstrahltbanane, dass ich mich daran erinnern muss, dass sie fiktiv sind. Wie könnte ich aufgeben und ihre Geschichte nicht zu Ende erzählen?! Das ist undenkbar!
This is awesome!

Nun ja…

Das ist also der „kleine“ Einblick in mein Doppelleben als Autorin. Also das Leben nach Feierabend, nach der Arbeit. Denn wie ihr neulich vielleicht schon gelesen habt, bezahlt nicht das Schreiben meine Miete ;)

Ich sitze aktuell am zweiten Teil von „DESTINED“ und habe gerade Phase 4 hinter mich gebracht. Also, ich hoffe jedenfalls, dass sie jetzt durch ist und ich mit Phase 5 weitermachen kann, damit es wieder besser voran geht. Es ist ein bisschen wie Achterbahn fahren, aber hey:
Life is like a rollercoaster. You can either scream or throw your hands up in the air and enjoy the ride.

In diesem Sinne!
Tut das, was ihr liebt – jeden Tag. Auch und gerade dann, wenn es nicht immer ein cakewalk ist.


*Pinterest Quelle