Chinesisch – und zwar fliessend

Meine neuste nun nicht mehr geheime Superheldenkraft:
Ich spreche Chinesisch. Und zwar fließend.

Mal ganz abgesehen davon, dass mich bereits gestern Mittag das Serviceteam meines Mobilfunkanbieters kontaktierte und ich der immerhin freundlichen Dame mitteilte, dass ich gerade im Büro bin und keine Zeit habe:
Warum rufen mich in letzer Zeit andauernd Hotlines an, mit dem unerschütterlichen Vorsatz, meine Zeit zu verplempern?

Das Gespräch gestern verlief ungefähr so:
“Hallo, hier ist Frau XX von Mobilfunkanbieter ZZ, haben Sie einen Moment Zeit?”
Kurzer Uhrencheck. 11:30 Uhr. Kurzer wtf-Moment.
“Tut mir leid, sie erwischen mich gerade im Büro, das ist zeitlich eher ungünstig.”
Mir schallt ein übersteuertes Kichern aus dem Telefonhörer entgegen.
“Ja, das verstehe ich. Wann kann ich Sie denn am besten erreichen?”
Gar nicht, denke ich mir, aber antworte höflich:
“Ähm. Wenn, dann nach Feierabend. Ungefähr ab 19 Uhr.”
Kurze Stille. Ich hoffe, dass gleich das tut tut tut Signal ertönt und die Dame aufgelegt hat.
Doch so viel Glück habe ich nicht.

“Das ist aber ungünstig, wir arbeiten nur bis 19 Uhr.”
Tja. Ich arbeite eben auch bis 19 Uhr. Merkste was? Ich warte ab. Vielleicht sagt sie ja noch etwas.
“Vielleicht schaffen wir es ja, sie um viertel vor sieben anzurufen.”
“Alles klar. Vielen Dank.”

Ich dachte eigentlich, sie meinte mit “viertel vor sieben” 18:45 Uhr.
Mein nervig vibrierendes Handy, das mich heute morgen aus dem Schlaf riss, sollte mich eines besseren belehren.
Ich erkannte die Nummer auf dem Display und habe kurz mit dem Gedanken gespielt, das Handy aus dem Fenster zu werfen. Zu dieser Uhrzeit fehlt mir allerdings der Elan für solche Aktionen, also drückte ich im Halbschlaf nur auf die “Vibration aus” Taste meines iPhones und drehte mich wieder um. Scheiß Zeitverschiebung zu China.

Das war der erste Teil meines Sprachkurses in Chinesisch. Grundkurs, sozusagen.
Heute bin ich bereits im Sprachkurs für Fortgeschrittene angelangt – also quasi “fließend”.
Ich lerne schnell.

Das Telefon klingelt im Büro. Ich nehme ab.
“Hallo, hier ist Frau XX vom Verlag ZZ, haben Sie einen Moment Zeit?”
Aha. Da wurde wohl in einem anderen CallCenter der gleiche Leitfaden kopiert und ausgeteilt.
“Wie kann ich Ihnen helfen?”
Kein Grund, unhöflich zu sein, denke ich mir. Die Frau macht auch nur ihren Job.
“Wir bieten Unternehmen an, die Zeitung XYZ für drei Wochen kostenlos zu testen und würden uns freuen, Ihnen die erste Ausgabe zusenden zu dürfen.”
Alles klar. Abos verkaufen im CallCenter. Ich bekomme Mitleid mit der Frau.
“Nein, tut mir leid. An so etwas haben wir kein Interesse.”
“Es ist aber ein Geschenk! Es ist völlig kostenlos für Sie! Ist diese Adresse noch korrekt?”
Sie sagt die Adresse auf.
“Nein, wir sind vor einem Jahr umgezogen, aber hören Sie, wir…”
“Oh, wie ist denn die neue Adresse?”
Meine Flasche Mitleid, die ich ihr überreichen wollte, fängt langsam an Risse zu bekommen.
“Hören Sie, wir haben kein Interesse an einem Probeabo und auch nicht an der Zeitung XYZ.”
Sie will nicht aufgeben.
Verdammt, mein Chinesisch ist über Nacht echt gut geworden.

“Es wäre doch schade, wenn Sie das nicht annehmen, es sind drei Ausgaben G-E-S-C-H-E-N-K-T.”
Sie betont das letzte Wort, als wäre ich begriffsstutzig.
Oder eben Chinesin ohne Deutschkenntnisse.

“Wir haben trotzdem kein Interesse, vielen Dank.”
Ich halte mich zurück, das Wort “Interesse”, nicht genauso zu betonen, wie sie “geschenkt”. Sie ist offenbar geschockt von so viel Ablehnung, obwohl sie doch etwas zu verschenken hat, denn sie sagt nichts mehr. Doch die Flasche Mitleid ist binnen Sekunden komplett leergelaufen. Also ergreife ich die Initiative, um das Gespräch zu einem Abschluss zu bringen.
“Sie verstehen sicher, dass wir hier bereits mit einer Tageszeitung ausgestattet sind und nicht so viel Zeit haben, um mehrere Zeitungen am Tag zu lesen. Deswegen ist Ihr Angebot für uns völlig uninteressant und ich möchte kein Probeabo von Ihnen, das ich wieder kündigen muss, obwohl ich es nicht möchte und Ihnen bereits jetzt schon sagen kann, dass ich Ihre Zeitung XYZ nicht lesen werde. Deswegen bitte ich Sie jetzt, unsere Nummer aus Ihrer Kartei zu streichen.”
Sie schnauft hörbar in ihr vermutlich ultramodernes Headset.
“Sie müssen nichts kündigen! Sie müssen nichts faxen, Sie müssen keine Briefmarke opfern, ein winziger Anruf genügt und Sie erhalten nichts mehr von uns!”
Sie wird sauer. Ich genervt. Ich rolle die Augen.
“Sehen Sie. Ich müsste Sie anrufen, um Ihre Zeitung wieder loszuwerden, die ich gar nicht will.”
Ich kann förmlich spüren, wie die Dame am anderen Ende ebenfalls die Augen rollt.
“Dafür würden Sie meine Kollegin anrufen, nicht MICH. Ich verteile nur die Gratis Ausgaben.”
Der Uhrencheck ergibt: 5 Minuten sind um. Mehr Zeit möchte ich nicht opfern, auch wenn das ganze fast amüsante Formen annimmt.
“Hören Sie. Ich werde weder Ihre Kollegin, noch Sie anrufen, um irgendein Probeabo zu kündigen. Wissen Sie auch, warum?”
Stille. Ich höre sie nur weiter in das Mikrofon des Headsets schnaufen. Vielleicht ist es sogar kabellos. Ich unterdrücke den “Hallo, Hallo? Sind sie noch dran?”-Implus und fahre fort.
“Weil Sie mir keine Probezeitungen schicken und meine Nummer jetzt aus Ihrer Liste streichen.”
Ich spreche ganz betont, langsam und deutlich. Ich habe Verständnis dafür, dass nicht jeder so fließend Chinesisch sprechen kann.
“Dann müssen wir das wohl so machen. Einen schönen Tag noch.”
Ich höre das tut tut tut Signal und frage mich, ob Chinesischkurse nicht vielleicht DIE Marktlücke sind.

Jedenfalls werde ich mich jetzt mal auf den sogenannten “Robinsonlisten” eintragen und hoffen, dass dadurch weniger Werbeanrufe eintrudeln. Auch wenn sie zuweilen ganz spaßig sind.
Außerdem werde ich bei der nächstbesten Gelegenheit Paul ans Telefon gehen lassen.
Paul geht übrigens auch gern für euch ans Telefon, seine liebste Beschäftigung ist es nämlich, Werbeanrufe abzuwimmeln.

Ob Paul auch fließend Chinesisch spricht?

Liebste Grüße
Eure
MissCreARTiv Signatur